LG Essen: Schadensersatz statt der Leistung nach abgebrochener eBay-Auktion

BGB §§ 433 Abs. 1, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1


1. im Rahmen einer Internetauktion kommt ein Vertrag durch Angebot und Annahme zustande. Dabei gelten zwar die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Betreibers der Versteigerungsplattform zwischen Anbieter und Bieter nicht unmittelbar. Sie können aber bei der Auslegung der jeweiligen Willenserklärungen (Angebot, Annahme) Bedeutung gewinnen, weil jeder Auktionsteilnehmer unter dem Regime der Geschäftsbedingungen handelt.

2. Bei einem unberechtigten Auktionsabbruch ist Grundlage für einen Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung das im Zeitpunkt des Abbruchs höchste Gebot, nicht ein „verbindlichen Maximalgebot“.


LG Essen, Hinweisbeschl. v. 16.12.2011 – 13 S 147/11

Tenor
Die Kammer beabsichtigt, die Berufung des Beklagten gegen das am 19.08.2011 verkündete Urteil des AG Hattingen gem. § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme, der Beklagte ggf. zur Rücknahme der Berufung, binnen zwei Wochen.
Gründe
Die Kammer ist nach vorläufiger Beratung einstimmig der Überzeugung, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat. Der Beklagte kann weder geltend machen, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruhe, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
Abs. 1
Der Kläger macht Schadensersatz statt der Leistung aufgrund einer über die Internetplattform eBay abgewickelten Auktion wegen eines iPhone 4 (original verpackt, 16 GB) geltend. Das Amtsgericht hat der Klage nach Vernehmung zweier Zeugen in vollem Umfang stattgegeben und die Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass der Kläger bewiesen habe, dass das Internetangebot von dem Beklagten eingestellt worden und er – der Kläger – bei dem vom Beklagten verursachten vorzeitigen Abbruch der Versteigerung der Höchstbietende gewesen sei. Der vorzeitige Abbruch der Auktion hindere das Zustandekommen eines Kaufvertrags nicht, sodass der Beklagte, der den Vertrag nicht erfüllt habe, zum Schadensersatz gem. §§ 433 Abs. 1, 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB verpflichtet sei.
Abs. 2
Die Berufung hat keinen Erfolg, da sich das Urteil als rechtsfehlerfrei erweist.
Abs. 3
Das Berufungsgericht hat seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszugs festgestellten Tatsachen gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legen. Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen i. S. der §§ 520 Abs. 3 Nr. 3, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO begründen, liegen nicht vor.
Abs. 4
(1) Soweit der Beklagte mit der Berufung geltend macht, dass das Amtsgericht die Zeugen MH und EH nicht zu dem benannten Beweisthema gehört habe, dass der Beklagte das iPhone 4 weder selbst in das Internet eingestellt noch dies anderweitig veranlasst habe, hat das Amtsgericht hiervon zu Recht abgesehen.
Abs. 5
Das Amtsgericht ist dabei zu Recht von der Beweislast des Klägers hinsichtlich des Zustandekommens eines vertrags gerade mit dem Beklagten ausgegangen, namentlich hinsichtlich des Umstands, dass der Beklagte das streitgegenständliche Angebot selbst oder durch einen anderen veranlasst hat. Da es allerdings für seine Entscheidung davon ausgeht, dass der Kläger diesen Beweis hat führen können, wäre die Vernehmung der als Gegenzeugen benannten Eltern des Beklagten grundsätzlich erforderlich gewesen (Zöller/Greger, ZPO, 28. Aufl., vor § 284 Rn. 12).
Abs. 6
Allerdings liegt ein ordnungsgemäßer Beweisantritt, dem das Amtsgericht hätte nachkommen müssen, nicht vor. Der Antritt des Zeugenbeweises erfordert gem. § 373 ZPO die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll. Es ist danach die spezifizierte Bezeichnung der Tatsachen (auch etwa von lndiztatsachen) erforderlich, welche bewiesen werden sollen. Hierbei dürfen die Anforderungen an die Substanziierung zwar nicht überspannt werden (Zöller/Greger, a. a. O., vor § 284 Rn. 4). Wird in einem Beweisantrag jedoch eine Negativtatsache in das Wissen eines Zeugen gestellt, ohne dass näher dargelegt wird, warum der Zeuge gerade diese bekunden können soll – etwa weil er den Vorgang aus bestimmten Gründen jedenfalls hätte registrieren müssen und daher redlicherweise angeben kann, dass er nicht erfolgt ist, oder weil der Zeuge bestimmte lndiztatsachen wahrgenommen hat, die einen entsprechenden Schluss ermöglichen – ist eine zielführende Vernehmung und Befragung des Zeugen nicht möglich. Der Beweisantrag ist in einem solchen Falle wegen fehlender Bestimmtheit unzulässig (vgl. Zöller/Greger, a. a. O., vor § 284 Rn. 11). Das Amtsgericht hat auch ausweislich der Berufungsbegründung einen diesbezüglichen, inhaltlich zutreffenden Hinweis erteilt, indem es die Vernehmung der Zeugen mit der Begründung abgelehnt hat, die „Zeugen würden den Beklagten ja nicht ständig überwachen und könnten daher gar nicht wissen, ob das Angebot auf ebay nicht doch von dem Beklagten stamme“. Der Beklagte hätte nun im Rahmen seiner Substanziierungspflicht und zur Fassung eines ordnungsgemäßen Beweisantrags näher vortragen müssen, warum die Zeugen doch bekunden können sollen, dass das Angebot auf eBay nicht von ihm stammt. Es verbot sich für das Amtsgericht auch, gerade die Zeugen danach zu fragen, da es sich dabei um eine unzulässige Ausforschung des Sachverhalts durch das Gericht gehandelt hätte (vgl. Zöller/Greger, a. a. O., vor § 284 Rn. 5).
Abs. 7
(2) Der Beklagte kann auch nicht durchgreifend geltend machen, dass das Amtsgericht ihn in der mündlichen Verhandlung nicht persönlich angehört hat.
Abs. 8
Grundsätzlich ist die (formlose) persönliche Anhörung einer Partei ein Element der Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 137 Abs. 4 ZPO) und der materiellen Prozessleitung (Zöller/Greger, a. a. O., § 141 Rn. 1) und insbesondere auch zur Aufklärung des Sachverhalts vom Gesetz ausdrücklich vorgesehen (vgl. § 141 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Sie ist zwar nicht Beweisaufnahme im engeren Sinn, aber Inhaltsbestandteil der Verhandlung i. S. des § 286 BGB, infolgedessen ihr Ergebnis im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts Berücksichtigung finden kann und muss (vgl. im Einzelnen Zöller/Greger, a. a. O., § 141 Rn. 1). Da der Zivilprozess jedoch in aller Regel durch Schriftsätze vorzubereiten ist (§ 129 Abs. 1, Abs. 2 ZPO, vgl. Zöller/Greger, a. a. O., § 129 Rn. 5 für das amtsgerichtliche Verfahren), kann die Parteianhörung – namentlich bei anwaltlicher Vertretung – lediglich der Ergänzung und dem besseren Verständnis der von der Partei behaupteten Tatsachen dienen (Zöller/Greger, a. a. O., § 141 Rn. 1), nicht aber der vollständigen Ermittlung des Parteivortrags. Jedenfalls kann eine Unterlassung der persönlichen Anhörung der Partei als Verstoß gegen das Recht auf rechtliches Gehör nur geltend gemacht werden, wenn die Partei alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen (Zöller/Greger, a. a. O., § 137 Rn. 4; vgl. auch BayVerfGH, VGHE BY 23, 177).
Abs. 9
So ist es insbesondere erforderlich, dass die Partei – vorbereitend schriftlich – zumindest in Grundzügen mitteilt oder durch ihren Prozessbevollmächtigten mitteilen lässt (§ 130 Nr. 3 ZPO), was sie behaupten will. Der Vortrag des Beklagten erschöpft sich in Bezug auf den vom Kläger behaupteten Vertragsschluss jedoch darin, sein Mitwirken an der Versteigerungsaktion auf der Internetplattform und an dem Versenden der vom Kläger bezeichneten E-Mails überhaupt zu verneinen und auf einen Hackerangriff auf sein eBay-Konto zu verweisen. Auch weist das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.07.2011 nicht aus (vgl. § 160 Abs. 4 ZPO), dass der Beklagte etwa den ausdrücklichen Wunsch geäußert hat, noch Näheres hierzu mitzuteilen, und das Amtsgericht solchen Vortrag nicht zulassen wollte.
Abs. 10
Das Amtsgericht durfte nach allem von der persönlichen Anhörung des Beklagten absehen, insbesondere weil der Beklagte zu dem späteren Gespräch seiner Eltern mit dem Kläger – zu welchem es diesen persönlich angehört hat – offenbar nichts aus eigener Wahrnehmung mitteilen konnte.
Abs. 11
Dass all dies nichts an der Beweispflichtigkeit des Klägers änderte, hat das Amtsgericht nicht verkannt.
Abs. 12
(3) Das Amtsgericht ist aufgrund einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt, dass es der Beklagte war, der die streitgegenständliche Internetversteigerung veranlasst und vorzeitig abgebrochen hat.
Abs. 13
Das Berufungsgericht überprüft dabei die Beweiswürdigung des Amtsgerichts nicht darauf, ob es zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, sondern nur, ob die Beweiswürdigung vertretbar, insbesondere frei von Widersprüchen ist, den Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen nicht zuwiderläuft und nicht Teile des Beweisergebnisses ungewürdigt lässt (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 28. Aufl., § 529 Rn. 7 f. m. w. Nachw.). Derartige Fehler der Beweiswürdigung liegen nicht vor.
Abs. 14
Das Amtsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger nicht unmittelbar den Vorgang beweisen konnte, dass der Beklagte das iPhone 4 bei eBay zum Verkauf angeboten hat.
Abs. 15
Es hat aber widerspruchsfrei und vertretbar aus allen ersichtlichen lndiztatsachen die Überzeugung gewonnen, dass es sich tatsächlich so verhalten hat und dass insbesondere nicht der von dem Beklagten behauptete Hackerangriff und der daraus folgende Missbrauch des Kontos erfolgt sind. Es hat hierbei auf das seinem wesentlichen Inhalt nach unstreitigen Gespräch vom 06.10.2010 zwischen den Eltern des Beklagten auf der einen Seite und dem Kläger und seiner Lebensgefährtin auf der anderen Seite abgestellt, in welchem der Vater des Beklagten gerade nicht von einem Hackerangriff gesprochen, sondern vielmehr bestimmt erklärt hat, das iPhone werde in keinem Fall geliefert. Dabei hat das Amtsgericht nachvollziehbar darauf abgestellt, dass für ihn kein Grund ersichtlich sei, warum der (angebliche) Hackerangriff verschwiegen werden sollte, wenn er tatsächlich stattgefunden hätte. Schließlich hat das Amtsgericht die vor dem Hintergrund des unstreitig gestellten Gesprächsinhalts sehr widersprüchliche Aussage des als Zeugen vernommenen Vaters ebenfalls zu Recht als erhebliches Indiz gegen den Vortrag des Beklagten gewertet. Vor dem Hintergrund dieser sehr aussagekräftigen Indizien hat das Amtsgericht schließlich nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass auch der – an sich unstreitige – E-Mail-Verkehr dem Beklagten zuzurechnen zu sein scheint und gerade gegen die Annahme spricht, ein Hacker habe die Versteigerung unter Missbrauch des eBay-Kontos in Gang gesetzt. Der von dem Beklagten in seiner Berufungsbegründung vorgetragene Gesichtspunkt, dass ein „Hacker“ durchaus ein Interesse daran gehabt haben könnte, seinen Betrug zu verschleiern, hat nach allem dagegen keine ausschlaggebende Bedeutung. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso ein „Hacker" zwar einerseits eine bereits laufende Auktion aus Angst vor Entdeckung abbrechen, sich das Konto aber danach „warmhalten" sollte, um später erneut einen Betrug zu versuchen.
Abs. 16
(4) Ausgehend von den damit für die Kammer bindend festgestellten Tatsachen ist der rechtliche Schluss des Amtsgerichts, dass ein Kaufvertrag zwischen den Parteien zu den vom Kläger angegebenen Konditionen zustande gekommen und deer Beklagte daher nach Erfüllung der Voraussetzungen des Sekundäranspruchs zu Schadensersatz gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 281 Abs. 1 BGB verpflichtet ist, zutreffend.
Abs. 17
Ein Vertrag im Rahmen einer Internetversteigerung – wie hier – kommt nach den allgemeinen Grundsätzen des bürgerlichen Rechts durch Angebot und Annahme (§§ 145 ff. BGB) zustande, wobei den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Betreibers der Versteigerungsplattform zwar keine unmittelbare Geltung zwischen den Vertragsparteien zukommt (BGH, Urt. v. 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, NJW 2011, 2421 [2423]), die Vorschriften der Allgemeinen Geschäftsbedingungen aber im Rahmen der Auslegung der jeweiligen Willenserklärungen Bedeutung gewinnen können, da beide Vertragsparteien, jede für sich, sozusagen unter dem Regime dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen handeln (vgl. BGH, Urt. v. 11.05.2011 – VIII ZR 289/09, NJW 2011, 2421 [2423]; BGH, Urt. v. 08.06.2011 – VIII ZR 305/10 BGH, Urt. v. 08.06.2011 – VIII ZR 305/10, NJW 2011, 2643; BGH, Urt. v. 03.11.2004 – VIII ZR 375/03, NJW 2005, 53 [54]).
Abs. 18
Das Einstellen des iPhone 4 in die Versteigerungsplattform ist daher unter Berücksichtigung von § 10 Nr. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Betreibers der Plattform als Angebot an den zulässig Höchstbietenden zu verstehen (vgl. im Einzelnen BGH, Urt. v. 03.11.2004 – VIII ZR 375/03NJW 2005, 53 [54]). Unter weiterer Berücksichtigung der genannten Allgemeinen Geschäftsbedingungen berührt die vorzeitige Beendigung des Angebots durch den Anbieter die Wirksamkeit dieses Angebots und des bereits abgegebenen Höchstgebots nicht – § 9 Nr. 11 und § 10 Nr. 1 sehen vor, dass der Widerruf eines wirksam abgegebenen Angebots (nur) bei Vorliegen eines „gesetzlichen Grundes“ erlaubt ist (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 03.06.2009 – 5 U 429/09, OLGR 2009, 918; LG Berlin, Urt. v. 15.05.2007 – 31 O 270/05, NJW-RR 2009, 132). Ob ein gesetzlicher Grund in diesem Sinne nur ein Anfechtungsgrund gem. §§ 119 ff. BGB und etwa ein Diebstahl des zu verkaufenden Guts (BGH, Urt. v. 08.06.2011 – VIII ZR 305/10 BGH, Urt. v. 08.06.2011 – VIII ZR 305/10NJW 2011, 2643) oder auch ein anderer Grund sein kann, kann dahinstehen, da der Beklagte keinerlei Grund für den vorzeitigen Abbruch vorgetragen hat.
Abs. 19
Da – unwidersprochen – die Voraussetzungen des Sekundäranspruchs (insbesondere Fristsetzung) erfüllt sind, schuldet der Beklagte Schadensersatz statt der Leistung, welcher jedenfalls auf das positive Interesse des Käufers gerichtet ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., § 281 Rn. 17). Gegen die Schätzung der Höhe dieses Anspruchs durch das Amtsgericht ist nichts zu erinnern, insbesondere ist das Amtsgericht zu Recht von dem Höchstgebot in Höhe von 59 € ausgegangen, denn zu diesem Betrag ist der Kaufvertrag zustande gekommen, nicht etwa zu dem „verbindlichen Maximalgebot“ in Höhe von 333 €. Letzteres hätte lediglich Bedeutung für den weiteren Verlauf der Versteigerung dergestalt gehabt, dass der Kläger bis zum Betrag von 333 € Höchstbietender geblieben wäre.
Abs. 20
Schließlich kann der Beklagte auch nicht einwenden, dass der Kläger nicht aufgrund des irregulären Ablaufs der Auktion besser stehen dürfe als bei regulärem Ablauf. Der Beklagte hat den vorzeitigen Abbruch der Auktion selbst zu verantworten und muss sich daran festhalten lassen.
Abs. 21
Gegen die Entscheidungen hinsichtlich der Nebenforderungen bestehen keine Bedenken.
Abs. 22
 

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